Ein beknacktes Cover. Denn das Buch ist weit weniger effekthascherisch als das Cover verspricht, zum Glück.
Kowalczuk versucht eine Geschichte der Stasi zu schreiben, von den Anfängen bis zum endgültigen Untergang 1990. Versucht deshalb, weil es eben ein Versuch und kein abschließendes Werk ist, worauf der Autor selber hinweist. Zu vieles ist noch unerforscht.
Kowalczuk möchte der Dämonisierung der Stasi entgegenwirken: Sie war nicht der Staat im Staate, der alles bestimmte. Nein, sie war genau das, wofür sie sich selber hielt: Schild und Schwert der Partei. Es war eine SED-Diktatur, und die Stasi war ein Werkzeug der SED.
Für dieses Buch ist der Autor sehr tief in die Literatur und in riesige Aktenberge eingestiegen, allein das verdient jeden Respekt. Aber das reicht ja nicht, man muß die Materie ja auch verstehen: Nur ein Beispiel: Die IMs. DIE IMs gab es nämlich gar nicht, sondern unfaßbar viele Unterarten, die sich auch noch überschnitten. Jemand konnte so drei- oder auch vierfacher IM sein. Das bringt es dann mit sich, daß die Zahlen, die zur Zeit des Erscheinens des Buches (2013) angenommen wurden, wahrscheinlich weit zu hoch angesetzt sind.
Allein die ganzen Abkürzungen, es müssen Hunderte sein, zu verstehen, verlangt eine große Geduld und Lernfähigkeit.
Im Ergebnis werden sich die aktuell verwendeten IM-Gesamtzahlen erheblich absenken, weil hauptamtliche MfS-Mitarbeiter ebenso wenig in die Statistik gehören wie IM, die bereits in einer anderen Kategorie erfasst sind (Doppelerfassung).
Auch, weil die Stasi eben ein DDR-“Betrieb” war, mit Planvorgaben auch für das Rekrutieren von Mitarbeitern.
Das Buch hat zwei Teile: Zunächst die Geschichte der Stasi bis zu Honeckers Machtübernahme und eben danach. Der erste Teil ist profund mit Quellen belegt, nüchtern gehalten und beschreibt die Entstehung der Stasi aus dem stalinistischen Apparat schon vor dem Krieg, den Machtkampf Anfang der 50-er, den schließlich Mielke gewann, den Terror bis zum Mauerbau und die Sublimierung des Terrors danach, als die DDR sich, nicht zuletzt wegen des Mauerbaus, stabilisiert hatte.
Der zweite Teil arbeitet dann deutlich weniger mit Quellen, sondern beschreibt ausführlich an exemplarischen Einzelfällen die Unterdrückung einer jeden Opposition in der DDR. Da ist ein merkwürdiger Bruch zum ersten, nüchtern-sachlichen Teil, der wohl mit dem Autor selber zu tun hat. Er wird in den 80-ern selber zum Akteur, das ist jetzt nicht nur mehr DDR-Geschichte, sondern auch seine persönliche Geschichte.. Ein kleines Detail bezeugt die Vermutung. Er schreibt über die Erinnerungskultur der alten MfS-Mitarbeiter nach der Wende:
Vor uns stand eine Truppe älterer Herrschaften, die die Trümmer ihrer Biographie und Institution zu verteidigen suchten.
Hier wechselt er völlig unvermittelt in die Ich-Perspektive, jetzt schreibt er über seine Geschichte. Das finde ich bedauerlich, weil er hier den Blickpunkt des Historikers verläßt und parteiisch wird. Ich kann mir das erklären, der Autor ist Jahrgang 1967, spätestens 1982 hatte er wohl seinen Bruch mit der DDR. Möglicherweise gibt es aber einfach auch weniger Quellenmaterial, es wurde ja gigantisch viel vernichtet 1989/90.
Alles in allem: Ein profundes Buch, jeder Interessierte gelesen haben sollte.
Wem das Lesen zu anspruchsvoll ist, der kann ja weiterhim Memes tweeten…
OT: Das hier ist schön geschrieben:
Die Prostituierten hatten vor allem die Aufgabe, in technisch entsprechend ausgerüsteten Hotelzimmern, Wohnungen oder anderen Örtlichkeiten, westlichen Politikern oder Geschäftsleuten zur Verfügung zu liegen.