Das Titelbild ist leicht abgewandelt ein Plakat von ca. 1939, das für die Mitgliedschaft im BDM wirbt, hier zum Beispiel. Es paßt also zeitlich wohl nicht ganz zum Buch, das bereits 1937 in Paris erschienen ist, aber es paßt doch hervorragend zum Thema.
Münzenberg ist zweifellos eine der interessantesten Figuren in der sozialistischen Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Baute den zweitgrößten Medienkonzern in Deutschland auf (nach Alfred Hugenberg), Mitglied des ZK der KPD, bekannt mit Lenin und Stalin, von den Nazis in Abwesenheit zum Tode verurteilt, von Stalin wohl ebenso (wenn auch ohne Prozeß, Stalin wollte grundsätzlich “Geständnisse” haben), aus der KPD ausgetreten, stranguliert aufgefunden in einem französischen Wald, von wem, weiß man nicht, sowohl Stalin als auch Hitler kommen als Auftraggeber in Frage.
Wenn einer was von linker Propaganda und Propaganda überhaupt verstand, dann er. Uns heutigen ist ja schon das Wort “Propaganda” suspekt, das kann auch mit dem Untergang der DDR zu tun haben: AgitProp war ein wichtiger Bestandteil des obrigkeitsverordneten gesellschaftlichen Lebens. Aber auch anderswo war AgitProp nicht unbedingt negativ besetzt, mir fallen Klaus Staeck und Floh de Cologne (kennt die noch jemand?) ein.
Aber damals war “Propaganda” als Mittel im politischen Kampf völlig normal und durchaus positiv besetzt.
Und so analysiert Münzenberg die faschistische Propaganda und deren theoretische Hintergründe, dabei ist er überaus belesen und belegt seine Zitate mit konkreten Quellenangaben (Buch, Seitenzahl). Und manches kommt erstaunlich bekannt vor, wer erinnert sich nicht an Neusprech?
Die Ausbeutung heißt jetzt: »deutscher Sozialismus«, Knechtschaft: »Freiheit«, Diktatur: »höhere Demokratie«, Kriegsvorbereitung: »Friedenssicherung«, Lüge: »Wahrheit«.
Was auffällt am Buch: Es ist eine wissenschaftliche Abhandlung, aus Sicht des Antifaschisten Münzenberg geschrieben. Es zeigt, daß Parteilichkeit nicht unbedingt Wissenschaftlichkeit ausschließt. Was aber auch auffällt: Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Und da lag Münzenberg komplett daneben:
Die Hitlerpropaganda muss automatisch im Laufe einer gewissen Zeit eine Waffe gegen den Nationalsozialismus selbst werden. Die unaufhörlich wiederholte Lüge wendet sich gegen ihre Verbreiter, sobald sich die Wahrheit Bahn bricht.
So dreht sich dann das letzte Kapitel “Offensive der Gegenpropaganda” um ein Thema: Die Antifaschisten müssen mehr und bessere Propaganda machen, die Zeit dafür sei jetzt gekommen, wo das Hitler-System wirtschaftlich und sozial vor dem Kollaps steht. Bekanntermaßen hat Hitler einen Ausweg aus der Krise gefunden: den WK II.
Münzenberg fand sein Ende eben ermordet 1940 in einem französischen Wald, während Hugenberg 1951 mit dem Status “entnazifiziert” friedlich in Westdeutschland sterben konnte.
Leseempfehlung? Nun ja, der Text ist oft weitschweifig und redundant, liest sich aber verständlich. Die Hitler-Propaganda wird systematisch und ausführlich analysiert, nicht wertfrei, aber, wie schon betont: wissenschaftlich. Das ist durchaus erkenntnisfödernd. Die Zeit ist lange her, glücklicherweise. Aber so lange dann eben doch nicht, mir sind beim Lesen immer wieder drei Buchstaben in den Kopf geschossen: AfD. Wer wissen möchte, an welchen Linien sich die Propaganda insbesondere aus dem Umfeld Höcke ausrichtet: Exakt an der Nazi-Propaganda.
Also kein Lesemuß, aber für den interessierten Leser doch eine eindeutige Leseempfehlung.
#ausgelesen
OT: Den 30. Januar 1933 bezeichnet Münzenberg durchgehend als “Machtüberlassung”. Ich finde diesen Begriff sehr passend.