Meine letzte Lektüre ist wenigstens 30 Jahre her, und dieses Buch muß man definitiv öfter als nur alle 30 Jahre lesen.
Moskau in den 20-er, 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Ein Ausländer der sich Voland nennt und seine Spießgesellen veranstalten die wunderlichsten Dinge: Literaten werden geköpft, es regnet Geld, das sich wahlweise von Devisen in Rubel oder umgedreht verwandelt, Künstler landen reihenweise in der Irrenanstalt, nackte Hexen fliegen durch die Nacht über dem Arbat…
Locker eingewoben wird die Geschichte von Pontius Pilatus und Jesus’ Kreuzigung. Die hatte ich damals eher überflogen, Schande über mich! Das ist unglaublich plastisch beschrieben, man fühlt die Hitze in Jerusalem zu Ostern flirren. Es wird Pilatus’ Geschichte beschrieben, Jesus ist eher notwendige Staffage.
Das Ganze vor dem Hintergrund der NÖP, es gab (in Moskau, in privilegierten Kreisen) durchaus Wohlstand — das Torgsin-Kaufhaus erinnert an die Intershops und die Exquisit-Läden in der DDR.
So geht es munter und irre durch die erste Buchhälfte (unterbrochen durch die Pilatus-Geschichte)
Ungefähr zur Hälfte wird der Meister eingeführt: ein Schriftsteller. Wie sich herausstellt, ist er der Autor des Pilatus-Romans, aus dem streckenweise vorher zitiert wurde. So wie Voland natürlich der Teufel ist, so ist der Meister Dr. Faust, und ein Gretchen hat er auch (Margarita)
Der Meister ist im Gegensatz zu all den anderen Schriftstellern die im Roman vorkommen ein echter Künstler. Sein Roman wird von allen Verlagen abgelehnt (ein Pilatus-Roman in der Sowjetunion der 20-er ist wirklich schwer vorstellbar).
Und so lebt er eher schlecht in einer kleinen Souterrain-Wohnung mit seiner Margarita zusammen — bis sich Voland einmischt. Und da nimmt der Roman irre Fahrt auf. Die Beschreibungen der wahnwitzigen Ritte durch den nächtlichen Moskauer Himmel lesen sich, als hätte Marc Chagall versehentlich diese Passagen geschrieben und nicht gemalt.
Am Schluß gehen die Geschichte des Meisters und die von Pilatus ineinander über, und es gibt, so wie ich das verstehe, für sämtliche Beteiligten ein Lösung: Erlösung von allem Leid. Ja, das ist auch ein religiöser Roman, aber von einer Religiösitität, die ganz anders ist als die meisten naßforschen Atheisten verstehen, von den inkorporierten Christen ganz abgesehen.
Das ist zweifellos ein Jahrtausendroman, der sich jeder schnellen Interpretation entzieht. Wer also ein Buch sucht, das ihn in seiner Weltsicht bestätigt: Nein, für den ist das kein Buch.
Für alle anderen gibt es auf die Frage nach der Leseempfehlung nur eine Antwort: Nein, keine Leseempfehlung.
Lesebefehl!!!
#ausgelesen
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